Eine neue Patientin aus Norddeutschland
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Alles muss sehr schnell gehen. Noch am Freitag hatte sich die Patientin per E-Mail gemeldet und mit großer Dringlichkeit um einen Termin gebeten.
Die Vehemenz mit der die Patientin dann nachfolgend ihre Wünsche artikuliert muss man wohl im Zusammenhang mit ihren starken Beschwerden sehen und steht in einem gewissen Widerspruch zu den betont freulichen E-Mails, mit denen die Patientin ihr Anliegen zuvor noch vorgetragen hatte. Hier gilt immer zu berücksichtigen, dass die Patienten langjährig starke Beschwerden haben. Das ist sicherlich eine der Belastungen, denen ein Team in einem CMD CENTRUM ausgesetzt sind.
In etwas ungewöhnlicher Form schildert die Patientin ihren Biss als unausgeglichen und versendet mehrere Fotos um ihre Situation darzustellen. Die klinische Situation zeigt ein schlecht versorgtes Gebiss mit insuffzienten Kauf und Funktionsflächen. Die Mundhygiene ist mit Bezug auf die funktionelle Situation eingeschränkt und eher als schlecht zu bewerten. Die äußere Darstellung der Patientin steht in einem deutlichen Widerspruch zu der intraoralen Situation, die man als insuffizient und ungenügend bezeichnen muss. Der Widerspruch ist offensichtlich, mit Sicherheit aber auch die zahnärztliche Behandlung verursacht. Man muss bei derartigen Patientendarstellungen immer im Hinterkopf haben, dass es auch nicht immer daran liegt, dass Behandlungen nicht so ablaufen, wie sie ablaufen sollten, sondern Patienten sich nicht an ärztliche Vorgaben halten, weil sie in diesen Fällen besser wissen als der Behandler, was zu tun sei. Derartige Hintergründe sind allerdings nie auf die Schnelle und häufig auch gar nicht aufzuklären. Die Darstellung des Problems durch die Patientin entspricht dem oben beschriebenen. Dazu die Beschreibung eines Aufbissbehelfs. Die Besonderheit des Falles liegt in einer langjährigen zahnärztlichen Behandlung, die offensichtlich aus dem Ruder gelaufen ist. Es seien mehrere Behandler involviert. Die Darstellung der Situation verstärkt die Auffassung des ersten Eindrucks, dass es bei der Patientin neben der erkennbaren Schmerzproblematiuk auch um eine psychiatrische Begleitanamnese handeln könne.
Die Vorgehensweise kann daher nur darin bestehen den Sachverhalt zeitlich nacheinander zu prüfen, indem jetzt geklärt wird, ob es möglich ist mit Maßnahmen der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik nachzuweisen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen den beschriebenen Beschwerden und den deutlich erkennbaren Störungen der Okklusion bestehen. Angesichts der langen medizinischen Anamnese der Patientin besteht dann im Falle der Nichtnachweisbarkeit immer noch die Möglichkeit die Patientin an einen Psychiater zur weiteren Abklärung zu verweisen.
Derartige Fälle sind extrem selten, aber nicht unmöglich. Man sollte daher differentialdiagnostisch diese Möglichkeit immer im Hinterkopf haben, dabei ist aber gleichzeitig klar, dass viele Patienten zu Unrecht psychopathologisiert werden, weil die Situation zahnärztlich funktionell nicht ausdiagnosiziert ist.
Wie in anderen Verfahren setzt auch die zahnäztliche Funktionsdiagnostik daher immer voraus, dass der Patient kooperiert, denn ohne die Mitwirkung des Patienten ist eine aussagefähige zahnäztliche Diagnostik nicht möglich. Das ist in diesem Fall nicht anders und die psychisch erkennbare Alteration der Patientin daher auch nicht ungewöhnlich, muss aber durchaus im Blickfeld des Behandlers sein.
Die grundsätzliche Frage, ob psychiatrische Begleiterscheinungen die Folge langjähriger chronischer Schmerzen sind, oder aber deren Ursache ist nicht zu beantworten, schon gar nicht von zahnärztlicher Seite aus.
Die Ende 20 jährige Patientin ist studiert und in einem großen Betrieb tätig, nachdem sie zuvor in verschiedenen Städten studiert und gearbeitet hat. Dies entspricht dem Habitus mit dem die Patientin zur Behandlung erscheint. Äußerlich betont gefasst und businesslike, angesprochen auf ihre Beschwerdesituation stark verunsichert. Es ist erkennbar, dass die Patientin seit vielen Jahren bemüht ist über ihre gesundheitliche und körperliche Situation hinweg zu täuschen. Dies fällt ihr zunehmend schwerer, ebenso die Contenance zu wahren. Sie werde häufig ausfallend und auch gemein, was sie in ruhigen Stunden beaduere. Auch die Beziehung zu ihrem Mann leide unter diesen Beschwerden.
Trotz terminlicher Enge, weil die Patientin auf Grund ihrer beruflichen Situation große terminliche Eile beschreibt wird kurzfristig ein Untersuchungstermin abgesprochen.
Die Patientin ist verheiratet und hat keine Kinder.
Das Leitsymptom sind Kopfschmerzen, früher erst rechts und jetzt inzwischen auch linksseitig.
Die Beschwerden liegen zwischen einem Level zwischen 6 und 10 plus.
An 10 Tagen im Monat sei sie bei beschwerdetechnisch bei 10, 10 Tage bei 6 und eigentlich nur 10 Tage im Monat uneingeschränkt arbeitsfähig. Nur dann könne sie eigentlich Sport betreiben, der ihr nach wie vor wichtig sei.
Beschwerdetechnisch ist die Patientin nie bei Null, sondern es geht nur darum, dass die Patientin zu arbeiten vermag. Diese eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bereitet der Patientin nachvollziehbarerweise nicht nur große Sorge, sondern schürt darüber hinaus die Angst in ihrem Beruf mit Ihren Beschwerden „erkannt“ zu werden und keine berufliche Förderung mehr zu erhalten. Dieses Bedürfnis sich mit den starken Beschwerden verstecken zu müssen, um von Arbeitskollegen und Vorgesetzten wahrgenommen zu werden, verlange von ihrer immer mehr Kraft und Energie, von der ihr gleichzeitig aber immer weniger zur Verfügung stehen würde.
Die Kopfschmerzen werden als drückend wahrgenommen und die Patientin beschreibt, dass sie eigentlich 30% ihrer Arbeitszeit vor Schmerzen nicht mehr zu arbeiten vermag. Das möchte die Patientin nachvollziehbarerweise für sich behalten. Ohne Schmerzmittel gehe gar nichts mehr, es sei ihr aber gelungen das für sich zu behalten.
Die Schmerzen bestehen seit ca. 2010, allerdings habe sie auch schon als Kind Beschwerden gehabt. Familienangehörige wollten nicht neben der Patientin sitzen, weil die Kiefergelenke so stark beim Essen geknackt haben. Das sei schon in der Kindheit für die Patientin eine Belastung gewesen, weil sie sich ausgegrenzt gefühlt habe. Besonders ihre Geschwister hätten sie gehänselt. Ach sei es ihr nicht mehr möglich gewesen ihre Lieblingssportart Gewichtheben zu betreiben, weil man da in der körperlichen Anspannung die Kiefer stark zusammenpressen würde und sie sei nacfolgend auf den Tennissport ausgewichen, den sie noch heute betreibt, sofern ihr das gesundheitlich möglich erscheint.
Eine kieferorthopädische Behandlung in der Jugendzeit sei nicht erfolgreich verlaufen und hätte dazu geführt, dass sich die Zähne im Oberkiefer verschoben hätten, siehe auch die Aufgabe des Gewichthebens. Eine laufende zahnärztliche Behandlung, die inzwischen seit mehreren Jahren läuft, bleibt ohne erkennbares Ziel und auch in keiner nachvollziehbaren Reichweite.
Besonders mache der Patientin Angst, dass nunmehr ein chirurgischer Eingriff angedacht wäre, für den die Patientin keine nachvollziehbare Begründung sehen könne. Auch dem Untersucher ist nicht klar, worin die medizinische Indikation eines derartigen Eingriffes liegen könne. Dabei wurde der Patientin eine Verbesserung ihrer ästhetischen Ausstrahlung in Aussicht gestellt, die sie aus beruflichen Gründen anstreben würde. Für Fragen gesichtsästhetischer Eingriffe, die man in diesem Fall sicherlich diskutieren könnte, fehlt allerdings das fachliche Hintergrundwissen und ist daher auch nicht Gegenstand der fachlichen Erörterung bzgl. der Nachweisbarkeit einer Craniomandibulären Dysfunktion.
Die Patientin habe vor einigen Jahren einen schweren Fahrradunfall erlitten und sei danach eine ganze Zeit arbeitsunfähig gewesen.
Danach hätte die Patientin ihren Beruf nicht mehr ausüben können und habe den Beruf gewechselt. Das sei für sie sehr belastend gewesen, da sie sich vorrangig über ihren Beruf definiere und deshalb auch auf Kinder verzichtet habe. Insofern erscheint auch bedeutsam, dass die Patientin den Beschwerdelevel bezüglich ihrer beruflichen Tätigkeit höher ansetzt, als für den Privatbereich.
Gesundheitlich ginge es ihr damals sehr schlecht, es sei dann zu einem körperlichen und seelischen Zusammenbruch gekommen.
Die Patientin war dann eine kurze Zeit arbeitsunfähig wollte aber arbeiten und hat nach kurzer Zeit wieder Arbeit auf einer anderen Position aufgenommen.
Die Patientin habe dann von einer Vielzahl von Ärzten alle möglichen Diagnosen von x bis y erhalten, so dass sie selbst nicht mehr wusste, woran sie eigentlich leide.
Dann habe sie sich auf eine erneute umfangreiche zahnärztliche Behandlung eingelassen. Diese bezeichne die Patientin aber inzwischen als experimentaltechnischer Natur. Es gehe nicht mehr weiter, sie habe ihre Behandler auch bereits vor Jahren ergebnislos angesprochen, fühle sich aber dort nicht mehr angenommen. Ganz verständlich scheint das mit Bezug auf die sonstige Zielstrebigkeit der Patientin nicht.
Die Befürchtung der Patientin deckt sich mit der Befürchtung des Behandlers, dass sich an den Zähnen überall Karies befindet, die dann aber in einer funktionstherapeutischen Rekonstruktion mit abgearbeitet werden könnten.
Ihre aktuelle Situation beschreibt die Patientin, dass es so nicht weiter geht. Es passe einfach nicht mehr mit ihren Behandlern, sie wolle jetzt eine Lösung.
In diesem Zusammenhang ergeben sich Probleme im Bereich der versicherungstechnischen Absicherung. Die Patientin möchte gerne die Versicherung wechseln, was aber angesichts der problematischen gesundheitlichen Situation enorme Probleme aufwerfen dürfte, zumal der Aufwand einer funktionstherapeutischen Rekonstruktion dieses Falles erheblich ausfallen dürften.
Vor Jahren sei die Patientin durch die gesamte medizinische Diagnostikmaschine gelaufen. Man habe sie letztendlich nach Hause geschickt, weil man ihr nicht helfen könne.
Als Nahrungsaufnahme sei nur noch weiche Kost möglich. Mundöffnung, Kaubewegungen und Mundschluss seien nur stark eingeschränkt möglich. Für die Patientin sei das ein einschneidendes Erlebnis gewesen.
Zusätzlich trägt die Patientin eine Schiene, die sie zusätzlich schon ewig trage.
Die Patientin beschreibt sie könne die gesamte rechte Seite ihres Körpers nicht mehr nutzen, das sei auch für Außenstehende sichtbar. Für den Behandler war es nicht erkennbar, als die Patientin das Behandlungszimmer betrat.
Die Patientin hat ebenfalls unerklärliche Sehstörungen. Ein Gefühl, als ob der Kopf sich schneller drehe als ihre Augen. Weiterhin wird ein Geh- und Standschwindel beschrieben.
Auf Nachfrage ergibt sich, dass die Patientin in ihrem Leben praktisch nie beschwerdefrei war, sondern auch schon vor ihrem Fahrradunfall beschwerdetechnisch bei 2 war.
Immer wieder spricht die Patientin von einem körperlichen und seelischen Zusammenbruch, der sich nach dem Fahrradunfall ereignet habe. Seitdem fühle sie sich stark traumatisiert und nachhaltig beeinträchtigt, zumal sie auch das Gefühl habe, ihr damaliger Partner sei damals nicht in der Lage gewesen Ihr gerecht zu werden, deshalb habe sie sich enttäuscht abgewandt.
Das Problem der Patientin im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Position ist nachvollziehbar, so dass auf Betreiben der Patientin die Suche nach einer schnellen aber nachhaltigen Lösung angestrebt wird.
Für die Patientin steht beruflich viel auf dem Spiel, denn die Arbeitsfähigkeit ist angesichts der angespannten gesundheitlichen Situation sehr stark angespannt, so dass Befürchtungen bestehen den beruflichen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, zumal der Arbeitsdruck in ihrer aktuellen Beschäftigung sehr hoch ist und die Patientin unter Beobachtung steht. Zumindest hat die Patientin diesen Eindruck.
Zufälligerweise steht gleichzeitig ein anderer Patient termingleich zur Verfügung, der der Patientin auf Nachfrage seine eigenen Erfahrungen bei einer funktionstherapeutischen Behandlung erklären kann, die er vor einigen Jahren im CMD CENTRUM KIEL absolviert hat.
Darüber hinaus bestehen folgend Beschwerden:
Kopfschmerzen
Gesichtsschmerzen
Wandernden Beschwerden in den Kiefern
Unerklärlichen Zahn-/Kieferbeschwerden
Vermehrten Blähungen
Zugempfindlichkeit
Menstruationsunregelmäßigkeiten
Kribbeln in den Fingern, rechte Hand Ring- und Mittelfinger
Schwindel
Schluckbeschwerden/Kloßgefühl im Hals
Stress
Beschwerden der Augen, Stiche Druck in/hinter den Augen
Unerklärlichen Sehstörungen
Halsschulternackenbeschwerden
Rückenschmerzen
Tinnitus, links
Morgendlich festem Biss
Ohrbeschwerden
„Watte im Ohr“ Gefühl
Kaufunktion behindert
Kieferöffnung behindert
Kieferschluss behindert
Kiefergelenkgeräusche
Es besteht das Gefühl, dass
Die innere Mitte verloren gegangen ist, etwa seit dem Fahrradunfall
Der Biss gesucht wird, der Biss passe nicht, etwa zu gleicher Zeit
Morgens wie gerädert
Zähneknirschen/pressen
Es wurden bisher erfolglos konsultiert:
HNO-Arzt
Augenarzt
Orthopäden
Physiotherapeuten, andauernd
Osteopathen, andauernd
Zahnarzt
Anderen Behandlern:
Weiterhin Verdacht auf
Burnout
Herzprobleme
Schilddrüse
Psychiatrische Begleiterkrankungen
Es erfolgen über die Erstuntersuchung hinaus Abformungen und Registrierungen zur Herstellung eines adjustierten Aufbissbehelfs, der in diesem Fall, anders als üblich im Oberkiefer angefertigt und eingegliedert werden soll.