Patientin aus Flensburg zur Instrumentellen Okklusionsanalyse mit einer grundsätzlichen Betrachtung zu zahnärztlichen Behandlungen
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Zur Überprüfung der Einstellung der Bisslage mit Hilfe Laborgefertigter Dauerprovisorien und zur weiteren Behandlungsplanung für die nunmehr anstehenden definitiven Rekonstruktionen wird standardmäßig eine labortechnische Überprüfung der Bisslage vorgenommen.
Hierzu werden vier Modelle benötigt und die entsprechenden Registrierungen der Bisslage zur Einstellung von zwei Modellpaaren in einen voll adjustierbaren Artikulator.
Der Beschwerdelevel der Patientin liegt inzwischen bei Null (0).
Der Ausgangsbeschwerdelevel lag im Februar 2016 bei 8 und wie die Patientin das beschrieb, war sie damals oftmals unerträglich.
Im Rahmen röntgenologischer Untersuchungen ergaben sich im OPG Befunde, die nachfolgend dann noch einmal per Einzelzahnfilm (EZF) abgeklärt wurden.
In einer langen Erwägung wurde dann von weiteren behandlerischen Maßnahmen abgesehen, weil nicht klar ist, ob weitere endochirurgische Maßnahmen wirklich eine bessere Situation erbringen werden, aber bei jedem zusätzlichen Eingriff die potentielle Möglichkeit besteht, dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen oder gar Komplikationen kommt.
Als junger Zahnarzt, ohne Berufserfahrung, besteht natürlicherweise die Berufsauffassung, alles was nicht lehrbuchhaft sei, müsse behandelt oder gar operiert werden.
Im Laufe eines Berufslebens, vor allem dann, wenn man mit komplexen Behandlungsfällen konfrontiert ist, wächst langsam aber sicher die Erkenntnis, dass wir uns oftmals Situationen gegenüber sehen, die alles andere als lehbuchhaft sind, und mit denen wir dennoch leben müssen.
Dann beginnt, leider immer noch viel zu selten, die Überlegung und vor allem die Abwägung, was eine mögliche Maßnahme bei einer unklaren Situation überhaupt erbringt und was im Rahmen dieser vermeintlichen Verbesserung aber alles passieren kann, was im Ende dazu führt, dass die Situation sich nach der Behandlung möglicherweise sogar schlechter darstellt, als vor der Behandlung.
Typischerweise sei hier die kleine Aufhellung nach erfolgter Wurzelkanalbehandlung zitiert. Es sieht im Röntgenbild nicht so aus, wie es aussehen sollte, also besteht die behandlerische Tendenz zur Wurzelspitzenresektion. Das Ergebnis nach der Wurzelspitzenresektion ist aber: Im Röntgenbild ist eine wesentlich größere Aufhellung, als Folge des operativen Defektes, zu sehen. Das Idealergebnis, dass sich dieses operativ geschaffene Loch nachfolgend mit Knochen auffüllt entspricht leider nicht der Realität. Die Wunde füllt sich in aller Regel mit einem bindegewebigen Weichgewebe auf.
Dieser Zustand bestand aber vor der Wurzelspitzenresektion auch schon!!!
Vorher ein kleiner bindegewebiger Defekt, danach ein großer bindegewebiger Defekt!
Was ist also, mit hinreichender selbst erlebter Berufserfahrung, für viele Patienten der bessere Weg?
Man informiert den Patienten bespricht den Sachverhalt und dann entscheidet der Patient. Aber!!! Das betrifft immer nur Zustände, die eben nicht eindeutig sind und auch nicht eindeutig abgeklärt werden können! Das heißt, der Behandler ist sich einfach in diesen Fällen nicht wirklich sicher! Alle anderen Fälle, in denen sich der Behandler sicher ist, bedürfen zwar der Information und Erläuterung des Patienten, aber nicht der Diskussion.
Was man allerdings immer in derartigen Zweifelsfällen tun sollte. Vollumfängliche Aufklärung des Patienten über das Für und Wider und die schriftliche Dokumentation und danach regelmäßige röntgenologische Überprüfung des Defektes.
Sollte dieser röntgenologische Defekt irgendwann größer werden, weil der Prozess entzündlich aktiv ist, gilt es den Sachverhalt erneut zu beurteilen, mit der Tendenz nun doch behandlerisch einzugreifen.
Bleibt der Defekt über die Jahre und Untersuchungen hingegen gleich groß, kann man davon ausgehen, dass der mögliche Prozess "steht"! Dann macht man einfach?
Gar nichts.
Das mag zwar nicht lehrbuchhaft sein, für den Patienten ist es aber der häufig viel bessere Weg, als lehrbuchhafter Aktionismus, bei dem dann ein Eingriff den anderen jagd, es nicht nur im Röntgenbild immer schlechter aussieht, sondern auch der Patient Beschwerden erleidet, die er gar nicht bekommen hätte, hätte man den Sachverhalt einfach belassen und nur beobachtet.
Es ist leider auch Thema, dass gerade Gutachter, Krankenkassengutachter und andere Fachleute häufig dieses Abwägen unterlassen und noch bei einem 85 jährigen Zustände anstreben, wie bei einem 17 jährigen und sich die Frage stellt, welchen Sinn es macht einen kleinen Defekt im Kieferknochen zu beseitigen, wo der Patient gleichzeitig altersbedingt den vermeintlichen Langzeiterfolg der zahnärztlich chirurgischen Intervention gar nicht mehr erleben dürfte.
Als einen wirklichen Hochschullehrer, der genau diese Abwägungen im Einzelfall propagiert, auch wenn das konkrete Vorgehen dann im Endeffekt als nicht lehrbuchgerecht erscheint, durfte der Verfasser Herrn Prof. Walter in Dresden in der Fortbildungsreihe zum "Fortgebildeten Gutachter der DGPRO" kennen lernen. Es gehört dann eben auch der individuelle Mut des Behandlers dazu, und eine intakte Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient, Entscheidungen zu vertreten, die für einen Lehrbuchpraktiker schlichweg außerhalb des denkbaren liegen.
Aber dem Lehrbuch ist dann Genüge getan, wenn der Behandler einfach macht, ohne abzuwägen.
Was macht ein erfahrener Behandler, der es mit seinem Patienten gut meint, also am Besten?
Er fragt sich, wie er das wohl machen lassen würde, wäre er selbst betroffener Patient.
Und das Bemerkenswerte daran ist, das dürfte den interessierten Leser dieses Blogs kaum überraschen, würden viele Zahnärzte Maßnahmen, die sie ihren Patienten angedeihen, bei sich selbst niemals durchführen lassen.